The Resilient Mind Series 03
Eine Pandemie: Tausend Arten sie psychologisch zu erleben - Kognitive Verzerrungen in Zeiten von Corona
Die Corona Pandemie führt im Moment zu einer unglaublichen Flut an Informationen, die wir täglich zu «verdauen» haben. So erfahren wir laufend Neues und z.T. Beängstigendes zur Anzahl Erkrankter und Verstorbener pro Land und Region, hören ständig wechselnde Kennzahlen zu Ansteckungsrisiko und Mortalität, werden von der Regierung angewiesen, die aktuellsten Notbestimmungen einzuhalten und werden über die Medien mit oft dramatischen Situationen in Krankenhäusern in Bergamo und New York konfrontiert.
Dieser Fülle an Daten können wir uns kaum erwehren – nein, wir suchen sie meistens sogar auf, um die Situation vermeintlich besser einschätzen zu können und Handlungsempfehlungen für uns, unsere Familie und Bekannten daraus abzuleiten. Sind diese Berichte auch meist sach-logisch verfasst, so legen sie jedoch wenig Augenmerk auf deren psycho-logische Verarbeitung durch den Adressaten, also uns selbst und hinterlassen in uns meist in einem Zustand der Ratlosigkeit.
Und diese Ratlosigkeit wird schnell zur Herausforderung. Denn sie beginnt schon bei der «banalen» Anforderung, unsere zum Teil schon als Kind erworbenen Gewohnheiten auf einen Schlag zu ändern: auf einmal sind Händeschütteln, Umarmen und geselliges Zusammensein tabu. Viele der in der Gemeinschaft gepflegten Rituale, sei es bei der Arbeit der Kaffee mit dem Kollegen, der gemeinsame Sport oder der Stammtisch werden vorerst auf Eis gelegt.
Welche psychologischen Mechanismen beeinflussen unsere Art, mit der Fülle an Informationen und diesen auf uns einprasselnden neuen Anforderungen umzugehen? Drei kognitive Verzerrungen (Biases) spielen dabei eine entscheidende Rolle:
1. Latente und nun getriggerte Ängste
Die Nachrichten über eine neue Krankheit wie Corona verbreiten sich dank der globalen Vernetzung und des Internets schneller als die Krankheit selbst. Dies, weil unsere Sorgen über allfällige Bedrohungen im Vergleich zur eigentlichen Gefahr oft übermässig gross sind. Die Tatsache, dass Menschen so anfällig für diese Art von Angstgefühlen sind, ist auf kognitive Verzerrungen zurückzuführen, die diese Angst auslösen. Denn es ist so: Je mehr wir uns mit etwas emotional Aufgeladenen befassen, desto eher nehmen wir weitere, dazu passende Informationen auf, speichern diese im Gedächtnis und können diese einfacher und schneller in unserem Bewusstsein wieder abrufen. Dieses Phänomen wird auch als Verfügbarkeitsheuristik (availability bias) bezeichnet.
Hier befeuern die Medien, die ohnehin die Neigung haben, negative Nachrichten und Einzelbeispiele mit gewisser Schockwirkung vermehrt zu publizieren (vermutlich aus dem genannten Grund, dass die Leser dies auch wollen und suchen) dieses Gefühl noch weiter und so machen wir uns weiter auf die Suche nach Pandemie-Informationen, auch weil Wissen uns vermeintlich ein Gefühl der Kontrolle verleiht. Kein Wunder also, dass Google Search zu Corona-Themen eine explosionsartig gestiegene Nachfrage erfährt. Risiko wird hier zum «Denkmuster».
2. Unsere Wahrnehmung des Risikos ist stark verfälscht
Unsere Risikowahrnehmung bzw. -einschätzung ist immer ein subjektives Urteil, welches wir über die Merkmale und die Schwere eines Risikos fällen. Und: Das von uns wahrgenommene Risiko steigt, wenn die Situation neu, unbekannt oder schwer verständlich ist. Das heisst, wenn ein unvollständiges wissenschaftliches Verständnis über mögliche gesundheitliche Auswirkungen einer bestimmten Situation vorliegt, kann sich die Einschätzung des verbundenen Risikogrades erheblich steigern. Das Corona Virus und seine Ausbreitung stellt nun gerade eine solch schwer verständliche, komplexe Situation dar. Dies führt dazu, dass wir mit unserer Risikoeinschätzung sehr schnell falsch liegen: Wir sind entweder zu optimistisch, da wir keine Erfahrung mit Pandemien haben oder schätzen das Risiko falsch ein, bzw. extrapolieren unsere Angst oder Erfahrungen aus vermeintlich ähnlichen Situationen, was sich in dieser spezifischen Krise als wenig hilfreich erweist.
3. Repräsentative Verzerrung, die uns zu vorschnellen Schlüssen verleitet
Diese Verzerrung beschreibt das Prinzip, dass wir, wenn wir über die Corona Pandemie nachdenken, dies auf der Grundlage von für uns vergleichbaren bekannten Phänomenen tun. Die allzu simple Einschätzung «dieses Mal werden die Dinge genauso laufen wie beim letzten Mal» führten im Fall von Corona dazu, dass das Virus anfänglich von vielen Menschen – speziell von Politikern – vorschnell als «einfache Grippe» abgetan wurde.
Zur Kategorie der repräsentativen Verzerrung gehören auch Fälle, in denen aufgrund erster verfügbarer Informationen schnell vorzeitige Schlussfolgerungen getroffen werden. Als Beispiel können hier die ersten Berichte aufgeführt werden, die auf erste, mögliche Behandlungserfolge durch bestehende Medikamente hingewiesen haben. Diese Informationen dann als generelle Behandlungsmöglichkeit und Lösung zu präsentieren, ist genau ein solcher Fall einer repräsentativen Verzerrung.
Verstärkend kommt dann oft noch der Dunning-Kruger Effekt (ein Spezialfall dieser Verzerrung) hinzu, bei dem die Menschen in Bereichen, in denen sie keine oder nur sehr wenig Erfahrung haben, glauben kompetenter zu sein als sie effektiv sind. Nun ist es aber leider umgekehrt: In Bereichen, von denen wir wenig verstehen, verfügen wir auch nicht über die Fähigkeit unsere eigene Inkompetenz zu erkennen (sogenannte unbewusste Inkompetenz). Diese unschöne Kombination von falschen bzw. ungenügenden Informationen zur Sachlage und eines geringen Bewusstseins unserer Inkompetenz in der Materie führt letztendlich dazu, dass wir die Lage falsch einschätzen obwohl wir gerade davon überzeugt sind sie richtig einzuschätzen.
Wie können wir nun die Psychologie nutzen, um uns selbst in dieser Corona-Pandemie besser zu führen?
- Selbst-Management bezüglich Medienkonsum: Unser Bedürfnis, ständig auf dem aktuellsten Stand zu sein führt dazu, dass wir ständig «on» sind und verschiedenste News-Seiten mehrmals täglich konsultieren, häufig im Autopiloten. Hier heisst es seitens Selbstmanagement: «bewusst werden» und «bewusst wählen». Ich werde mir erstens bewusst, wenn ich wieder gedankenverloren in die Falle «Informationsbeschaffung» tappe und wähle zweitens bewusst, ob ich dies möchte.
- Transformation des Kontrollzwangs in Akzeptanz: Eine grosse Herausforderung der aktuellen Situation ist es, dass wir die sonst so fürsorglich gehegte (vermeintliche) Kontrolle über unser Leben aufgeben müssen. Wenn plötzlich der Staat mit drastischen Massnahmen in unseren Alltag eingreift und die allgegenwärtige Ansteckungsgefahr wie Damokles’ Schwert über unseren Köpfen schwebt, wird uns bewusst, dass wir unser Leben nicht kontrollieren können. Und dies generiert Angst und Unwohlsein. Hier gilt es, diese Gefühle wahrzunehmen, zuzulassen und zu akzeptieren. (Siehe dazu auch Resilient Mind Series Teil 2)
- Kultivierung von kritischem Denken: die aktuelle Pandemie lädt uns ein, eine der wichtigsten Leadership Kapazitäten der Zukunft zu kultivieren: das kritische Denken. Hier gilt es erst einmal, die Quellen unserer Informationen zu sichten und gerade bei komplexen, wissenschaftlichen Themen, ausgewiesene Experten zu den Themen für die eigene Meinungsbildung zu suchen. Zudem ist es wichtig, sich seiner eigenen Verzerrungen (Biases) bewusst zu sein (z.B. die Tendenz, Negatives verstärkt zu gewichten) und auch die Verzerrungen der jeweiligen Autoren zu überprüfen. Darüber hinaus ist ein besonderes Augenmerk auf die Schlussfolgerungen der Autoren zu richten, da gerade in komplexen Situationen das «Ursachen-Wirkungs-Prinzip» nicht linear, sondern systemisch und dementsprechend sehr komplex zu erfassen ist.
Die Corona-Pandemie lädt uns somit ein, unseren Alltag bewusster wahrzunehmen und zu gestalten und zudem in wichtigen Bereichen des Selbst-Managements zu experimentieren und zu wachsen.
Das aergon Team steht Ihnen für ein (virtuelles) Gespräch gerne zur Verfügung.
Dieser Artikel ist Teil der Resilient Mind Series von www.aergon.com